Auf dem Hintergrund des europäischen Ursprungs der Zweitspracherwerbsforschung gehe ich in meinem Vortrag insbesondere auf den Ansatz der Lernervarietäten ein, der sich Anfang der 1970iger Jahre in Heidelberg entwickelte und in den 80iger Jahren auf die Beschreibung anderer europäischer Zielsprachen angewandt wurde. Die Originalität dieses Ansatzes besteht unter anderem darin, dass eine isolierende Varietät einer flektierenden Sprache auf der Grundlage ihrer Verständlichkeit für die Sprecher der umgebenden Sprachgemeinschaft als eine kommunikationslegitime Varietät dieser Sprache betrachtet werden kann. Indem somit das in der Forschung selten hinterfragte Konzept der Grammatikalität in den Hintergrund tritt, liegt der Schwerpunkt der Analyse auf der Verständlichkeit der Zweitsprachen und dem Sprachgebrauch der Lernenden als einem Typ der Sprachvariation. Diese Sichtweise richtet anregende Fragen an die Sprachwissenschaft und die Sprachdidaktik: • Bis zu welchem Punkt kann die zweitsprachliche Performanz noch als Varietät betrachtet werden, wie groß ist der Gebrauchsbereich einer Sprache - ist eine (sehr ausgeprägt) isolierende Varietät einer flektierenden Sprache noch eine Varietät dieser Sprache? • Und wie kann man in einer mehrsprachigen Welt die Umrisse einer Sprachgemeinschaft erforschen, die auf Interkomprehensibilität beruht? • Wenn Verständlichkeit zum Maß des Spracherwerbs wird, was lässt sich dann im Sprachunterricht unterrichten ? Das Ziel meines Vortrags ist es, einige Aspekte eigener Forschung zur bescheidenen Beantwortung dieser großen Fragen vorzustellen. Ich beziehe mich dafür auf kontextspezifische korpuslinguistische Studien zur Variabilität von Lernervarietäten des Französichen (berichtete Rede, Verbmorphologie).